Kritik an dem Vortrag
„Jüdisches Leben aus anarchistischer Perpektive“
von Nui, einer jüdischen Trans am 27.5.2018 im Exzess
Die in unserem Flyer „ Anarchismus und Religion“ formulierte Kritik an dem Titel des Vortrags, daß es keinen jüdischen, christlichen,islamischen Anarchismus gibt, wurde von der Referentin als „Bullshit“ bezeichnet.
Als Beleg dafür wurden zahlreiche Anarchisten genannt, die Juden waren. Darunter auch Erich Mühsam. Wenn diese Juden waren, heißt das noch lange nicht, daß diese sich als jüdische Anarchisten verstanden und genauso wie die Referentin sich unkritisch zu den jüdischen Traditionen verhielten.
Erich Mühsam bestätigt vielmehr meine Kritik:
„Erst das Judentum zentralisierte den Gottgedanken, erst die jüdisch-christliche Religion stellte eine Allmacht über der Menschheit auf, schuf den Begriff der Gottesknechtschaft, unterwarf Denken, Fühlen und Handeln den unantastbaren Satzungen einer jeder Absetzbarkeit, ja, jeder Anzweiflung entzogenen einheitlichen Autorität. Die Priester des allmächtigen, allwissenden, allgegenwärtigen Gottes erlangten dadurch die schrankenlose Macht über die Seelen der Gläubigen, eine Macht, der sie durch die Errichtung der Kirche den Halt der vollkommensten Zentralisation gaben. Dass der Anarchismus mit dem Glauben an eine außerhalb der Persönlichkeit wirkende bewusste und willensbegabte Kraft unvereinbar ist, bedarf keiner besonderen Darlegung.“ S.20 Erich Müsam „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“ https://www.lernhelfer.de/sites/default/files/lexicon/pdf/BWS-DEU2-0941-03.pdf
Wie wir hier sehen, kritisiert Erich Mühsam ausdrücklich den jüdisch-christlichen monotheistischen Gott und stellt, wie ich in dem Flyer, die Unvereinbarkeit von Anarchismus und Anerkennung des Gottes fest. Die Tatsache, daß Erich Mühsam ein Jude war, spielt also keine Rolle. Im Gegenteil, die in Nui’s Argument enthaltene Unterstellung, daß aus einer Sozialisierung automatisch eine entsprechende Perspektive erwächst, widerspricht dem Selbstverständnis eines jeden Anarchisten, sich zu der eigenen Sozialisation kritisch zu verhalten. Anarchisten zeichnen sich gerade dadurch aus, die Herrschaftsverhältnisse in denen sie/wir sozialisiert wurden , ob christliche oder jüdische einer radikalen Kritik zu unterziehen.
„Die föderative Gesellschaft der Anarchie kann keinen Bestandteil enthalten, der diesen beiden Grundformen der Macht nicht stracks entgegengesetzt wäre. Ihr Gefüge muss von der Wurzel aus anders aussehen und anders wachsen als das Gefüge jeder obrigkeitlichen Organisation. Von der Wurzel aus: die Wurzel des Staates aber, die Keimzelle der Autorität ist die Familie.“ S.22 Erich Müsam „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“
Nicht so Nui. Sie hat eine positive Beziehung zu ihrer jüdischen Sozialisation. Dazu macht sie eine Unterscheidung zwischen den Traditionen und Kultur auf der einen Seite und der Religion auf der anderen Seite, die sie kritisert . Die jüdischen Traditionen und Kultur stellen für sie die jüdische Perspektive dar, zu der sie ein positives Verhältnis hat.
Die Religion läßt sich jedoch nicht von den Traditionen trennen, ist es doch gerade die Tradition der patriarchale Familie, in der sich die Religion manifestiert.
Was sie unter den jüdischen Traditionen und Kultur verstehen will, hat sie trotz Nachfrage nicht konkretisiert. Da allgemein jüdische Traditionen und Kultur im Raum standen, sehen wir uns die jüdischen Familientraditionen an, die einen wesentlichen Bestandteil derselben bilden:
„Das Eherecht war jedoch primär patriarchalisch orientiert. Dies kommt schon sprachlich zum Ausdruck. Der Mann wird zum Herrn, zum Besitzer (Baal) der Frau; die Ehefrau wird als „in seinem Besitz befindliche“(Beula) bezeichnet. ….Die Heirat nach traditionell jüdischem Recht zeigte deutliche Züge eines Kaufver-trages. Der Ehemann erwirbtseine Frau zur Ehe.Der Vater erhält von seinem Schwiegersohn einen Brautpreis (Mohar). Dieser Kaufpreis verblieb zunächst beim Vater der Braut. …..Demgegenüber standen die Rechte des Ehemannes: Er hat Anspruch auf den Erwerbsertrag der Frau, wenn sie einer Arbeit nachgeht. Die in die Ehe eingebrachte Mitgift der Frau bleibt ihr Eigentum, jedoch fällt die Nutzung dem Manne zu. Die Frau ist verpflichtet, ihrem Mann „den Becher einzuschenken, das Bett zu machen, Gesicht, Hände und Füße zu waschen und ihn zu bedienen.“…….
Der Mann hat darüber hinaus Anspruch auf den Nachlass der Frau nach ihrem Tode. In früheren Zeiten wurde die Wahrung der ehelichen Treue vorwiegend als Vorrecht des Mannes eingestuft. Schon leichte Übertretungen der Frau konnten dem Mann das Recht zur Scheidung verleihen. In biblischen Zeiten stand Ehebruch durch die Frau unter Todesstrafe. Auf der anderen Seite galt lediglich der Ge-schlechtsverkehr eines Mannes mit der Ehefrau eines anderen als Ehebruch. Jeder sonstige außereheliche Verkehr durch den Mann war zwar verpönt, wurde jedoch nicht als Ehebruch sanktioniert.…..Ein Kind, das durch Ehebruch gezeugt wurde, galt in biblischer Zeit als Bastard (Mamser). ..Eine Mischehe, also die Ehe eines Juden mit einer Nichtjüdin bzw. die Ehe einer Jüdin mit einem Nichtjuden ist nicht erlaubt. Eine entgegen diesem Verbot in Israel geschlossene Ehe gilt als Nichtehe. Der Mann kann aus folgenden Gründen die Scheidung verlangen:
a) Wenn die gültig geschlossene Ehe verboten ist;
b) wenn die Frau sich fälschlicherweise als Jungfrau ausgegeben hat;
c) wenn die Frau die ehelichen Pflichten verweigert;
d) bei 10-jähriger kinderloser Ehe;
e) wenn die Frau einen körperlichen Fehler hat, der dem Mann unbekannt war;
Jüdisches Familienrecht, mit seinem Ursprung in den Schriften des Alten Testaments, prägt auch in der heutigen Zeit das Familienleben, das Verhältnis der Geschlechter sowie die Regeln von Ehe, Trennung und Scheidung für Angehörige des jüdischen Glaubens. Die Aussagen der fünf Bücher des Mose als Regelwerk der Torah haben heute noch Gültigkeit für den gläubigen Juden. Im Laufe der Geschichte wurde die einseitige patriarchalische Ausrichtung durch Interpretationen und Verdikte talmudischer Gelehrter abgemildert. Polygamie wurde abgeschafft, das Scheidungsrecht der Frau wurde erweitert, gewisse Unterhaltsansprüche werden ihr zugestanden und Kinderehen sind verboten.
Die Ehescheidung ist nicht mehr einseitiger Akt des Mannes, sondern orientiert sich an Regeln, über die Rabbinatsgerichte wachen. Für den Dialog der Religionen und den Frieden im Nahen Osten kontraproduktiv ist das Verbot der Mischehe mit einem Andersgläu-bigen. Dennoch müssen wir uns vor Augen halten, dass sich tradiertes Religions-recht nicht mit den Standards aufgeklärter westlicher Industrienationen messen lässt, die längst eine Trennung von Religion und Staat vollzogen haben. http://www2.ostfalia.de/export/sites/default/de/afb/download/berichtmarx-judentum-2005.pdf
In solchen Traditionen etwas positives zu sehen, hat mit Anarchismus nichts zu tun.Das jüdische Patriarchat ist genauso abzulehnen wie das christliche oder moslemische Patriarchat. Die Kritik Erich Mühsams an der patriarchalen Familie trifft jede christliche, jüdische und moslemische gleichermaßen.
„ Die obrigkeitlich geschützte und nach einheitlichen Grundsätzen geregelte Familie ist Muster und Sinnbild der Zentralisation, vollendete Verkörperung des Machtgedankens, im engen Umkreis Modell von Kirche und Staat, Urform und Inbegriff ausübender und hinnehmender Autorität. Diese Eigenschaften der von Kirche und Staat geschaffenen, betreuten und beaufsichtigten Familie sind gewährleistet durch die Einrichtung der vom Staat beglaubigten, von der Kirche mit göttlichen Weihen versehenen Ehe und durch die Festlegung des Vaterrechts als Ausdruck der Beziehung des Stammes zur Allgemeinheit, der Beziehung der Familienangehörigen zueinander. Die ( 22)
Begründung der Vaterschaftsfamilie erfolgt in der Form der priesterlichen oder behördlichen Vornahme einer Trauung der beiden Personen, welche sich zur gemeinsamen Lebensführung und Erzeugung von Kindern verständigt haben. Die Heirat, gleichviel ob es sich um kirchliche Einsegnung oder um Ziviltrauung handelt, bedeutet also die Einschaltung der öffentlichen Macht in die private Entschließung zweier Menschen, miteinander geschlechtlichen Verkehr zu pflegen. Um ein solches Eindringen obrigkeitlicher Gewalt in den allerpersönlichsten und verschwiegensten menschlichen Willensvorgang erträglich und berechtigt erscheinen zu lassen, bedurfte es der vollständigen Verbildung des natürlichen Wissens um Selbstbestimmung in den Angelegenheiten des eigensten Erlebens. Sie wurde erreicht durch die Verfälschung der Moral von einem sozialen Wertmaß der Rechtsgleichheit und des anständigen gegenseitigen Verhaltens in eine Richtschnur zur Innehaltung des richtigen Abstandes zwischen Machtgebot und Abhängigkeit. Die Beziehung der Geschlechter, dieser durch die Natur selbst jeder Einmischung Dritter entzogene Urquell des Lebens, musste, um der Macht dienstbar werden zu können, im Gewissen der Menschen zum Herd ständiger innerer Not gemacht werden. Gelang das, so war für den Seelsorger der Weg frei, der Liebe Vorschriften zu machen; die Priesterschaft, mithin die Kirche, der Staat und jede Autorität konnte sich als Macht da einnisten, wo der Machtbegriff für jedes gesunde Empfinden aufhören müsste, Geltung zu haben. Es gelang durch die erfolgreiche Bemühung, den Geschlechtstrieb als eine von Anbeginn sündige Versuchung der Menschenseele zur Erregung fortwährender Gewissensqualen zu benutzen; denn nur so konnte die Vorstellung erweckt werden, dass die Befriedigung des sinnlichen Verlangens unreines Werk sei, solange nicht äußere Gewalten ihr eine genau zu befolgende Dienstordnung gesetzt hätten.“ Erich Müsam „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“
Die Position der Referentin jüdische Traditionen und Kultur hochzuhalten, hat mit Anarchsimus nichts zu tun. Anarchismus wird zu einem Label für einen entgegengesetzten Inhalt.
Es ist ja schön, wenn sich Nui als Trans in den jüdischen Traditionen wohlfühlt, weil die Juden 7 Bezeichnungen für Gender haben und zumindest in der Sprache ihre sexuelle Ausrichtung nicht diskriminiert wird. Es geht aber hier nicht um individuelle Gefühle.
Nui erhebt schwerwiegende Vorwürfe : Sie kritisiert diejenigen als Antisemiten, die diesen positiven Bezug zur „jüdischen Perspektive“ vermissen lassen.
Intersektionalität sei antisemitisch , wenn die jüdische Perspektive dabei nicht vorkommt.
(ich will hier auf den Begriff Intersektionalität, nicht näher eingehen und nehme ihn hier gleichbedeutend mit „Widerstand in verschiedenen Bereichen“)
Dies ist eine Kritik am Antisemitismus vom Standpunkt der jüdischen Perspektive. Anarchisten dürfen also die jüdischen Traditionen nicht kritisieren, weil das antisemitisch sei. Dieses Kritikverbot stammt aus der antideutschen Ecke.
Eine angebliche Kritikerin der Antideutschen entpuppt sich hier als heimliche Antideutsche.
Das Konzept der Tolenranz und das Kritikverbot gegenüber den Anhängern der monotheistischen Religionen ist ganz und gar unanarchistisch. Aber nicht nur das.
Nur der Anarchismus ( und die mit ihm verwandte Matriarchatstheorie) kritisiert die Konstitution von Herrschaft, indem Andersgläubige verachtet werden und die eigene Religion als die einzig wahre gesetzt wird – und das ist das Wesen aller monotheistischen Religionen – weil er ein Gegner von Herrschaft ist. Das unterscheidet den Anarchsimus (inclusive Matriarchatstheorie) von allen anderen linken Strömungen.
Bei der Kritik am Antisemitismus kann ich nicht die Augen davor verschließen, daß die jüdische Religion selbst nur den eigenen Gott als den einzig wahren Gott ansieht und andere Religionen verachtet. Bei der Kritik an der Diskriminierung des Islam kann ich nicht darüber hinwegsehen, daß auch der Islam sich über Andersgläubige erhebt und sich selbst als das auserwählte Volk sieht. Dasselbe trifft auf das Christentum zu.
Es kann keine Toleranz gegenüber Religionen geben, deren Wesensmerkmal das Prinzip der Intoleranz ist.
Nur vom Standpunkt der Kritik an allen monotheistsichen Religionen läßt sich Antisemitismus , Diskriminierung des Islam und des Christentums und deren Exzeptionalismus, den alle für sich in Anspruch nehmen, überwinden.
Unter Linken ist dieses Gebot der Toleranz und das Kritikverbot gegenüber den Religionen gang und gäbe. Sie teilen das bürgerliche Konzept des Säkularismus, das die Religion in der Privatsphäre beläßt.
Es ist ein verhängnisvoller Trugschluß, zu glauben, daß die Religion ungefährlich wäre, wenn man sie in die Privatsphäre verbannt. Denn gerade in der Privatsphäre entfaltet die Religion ihre Macht, indem sie sich der Seelen der Menschen bemächtigt und ihnen in Kindheit und Erziehung moralische Werte implementiert, die sie zu Knechten der Herrschaft macht.
Die Macht über die Seelen, die sie kraft der religiösen Beeinflussung der Menschen ausübt, ergänzt sie durch Erringung politischer Macht im Staate. Dadurch macht sie sich den ökonomischen Machthabern unentbehrlich, die nun der Kirche die Wege zu weiterer Entfaltung von Autorität öffnen. Sie liefern der Kirche die Schule aus und erreichen so, dass die Jugend im Geiste der Autorität erzogen wird, somit brauchbaren Stoff zum Beherrschtwerden, willigen Ausbeutungsnachwuchs hergibt und frühzeitig den Drang pflegt, selbst Machtinhaber zu werden. Sie wissen, dass nur der ein guter Knecht ist, der selbst knechtet oder doch knechten möchte, wie die Kirche weiß, dass nur der mit Leidenschaft Herr sein kann, der noch einen Herrn über sich fühlt. Also: mit dem Erwachen von Machtsucht schufen sich die Menschen die Gottheit. Sie unterwarfen sich ihrer Herrschaft, um andere Menschen der eigenen Herrschaft unterwerfen zu können. Jeder Unterworfene wird wiederum mit Macht ausgestattet, damit er um so leichter beherrscht werden kann. Jede Unterwerfung und Beherrschung führt zu materieller Ausbeutung, jede Ausbeutung zu Autorität, Zentralismus, Staat. Gott und der Staat sind die beiden Pole der Macht, die auf der Verneinung von Gleichberechtigung, Gegenseitigkeit und Selbstverantwortung beruht.“ Erich Müsam „Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“
Was in der Privatspäre heranwächst, wird da nicht bleiben. Die Herrschenden wissen um die Macht der Religion und möbilisieren sie regelmäßig, wenn sie es brauchen.
Gerade der Aufstieg von Hitler hat gezeigt, wie leicht sich die dem Monotheismus eigene Verachtung der Andersgläubigen zu einer politischen Massenbewegung mobilisieren läßt . Der Antisemitisus der Deutschen, der zum Verbrechen des Holocaust führte, war nur möglich, weil in der Privatsphäre sich die christliche Religion entfalten konnte.
Mit der Eskalation der Kriege sind heute die Herrschaftsreligionen weltweit auf dem Vormarsch und der Säkularismus wird zurückgedrängt. Der Islamismus wird vom westlichen Imperialismus gepuscht, als Vorwand für Kriege und eigene Interventionen, damit sich neue islamisch faschistische Regimes zu etablieren und in den westlichen Ländern den Aufschwung des Totalitarismus zu befördern. Der Zionismus, der immer aggressiver wird, wird hofiert.
Zugleich wird schon seit Jahren eine Kampagne zur Tabuisierung von Erkenntnis und Kritik in Gang gesetzt, indem mit dem Vorwurf des Antisemitismus die Schuld des Holocaust heraufbeschworen wird , um die Kritik an den jetzigen Tätern und darüberhinaus jede linke Kritik zu diskreditieren.
Dieses Verfahren der Einschüchterung und falschen Beschuldigung ist die moderne Version des Märchens von der Schuld, die zur Vertreibung aus dem Paradies führte.
Religion ist die Ideologie von Gewalt und Herrschaft, aus der es kein Entrinnen gibt, solange sie nicht grundlegend in Frage gestellt wird.
Nur der Anarchismus hat hier die richtige Antwort, weil er eine grundlegenede Kritik an allen Herrschaftsreligionen hat.