Wir verurteilen den Angriff der Türkei auf Rojava aufs Schärfste. Unsere Solidarität gilt den heldenhaften Kämpfern der kurdischen Befreiungsbewegung. Allerdings sehen wir hier gefährliche Illusionen am Werk, die dazu führen , daß diese Kämpfer für die Pläne der Imperialisten verheizt werden und Rojava zu einem kapitalistischen Projekt umgemodelt wird.
Aus der jahrzehntelangen Unterdrückung des kurdischen Volkes gibt es nur einen Ausweg, nämlich auf der Basis des internationalen Klassenkampfes und nicht durch Kumpanei mit dem Imperialismus.
Die amerikanischen Militärbasen in Rojava zeigen eine verhängnisvolle Entwicklung.
Die Kurden haben sich nie klar gegen das Greater Middle East Projekt der USA positioniert, in dem die Absicht erkennbar war , die Leiden des kurdischen Volkes für die imperialistischen Expansionspläne zu instrumentalisieren.
MAP OF THE NEW MIDDLE EAST
The following map was prepared by Lieutenant-Colonel Ralph Peters. It was published in the Armed Forces Journal in June 2006, Peters is a retired colonel of the U.S. National War Academy. (Map Copyright Lieutenant-Colonel Ralph Peters 2006). https://www.globalresearch.ca/plans-for-redrawing-the-middle-east-the-project-for-a-new-middle-east/3882
Statt dessen haben sie Hoffnungen darauf gesetzt.
Für Öcalan geht es bei dem Greater Middle East Projekt nicht um eine kriegerische Offensive des westlichen Imperialismus, um mit den sich im Schatten der Sowjetunion dort etablierten Nationalstaaten Libyen, Syrien, Irak, Iran, Afghanistan aufzuräumen und mit der “ Anmaßung“ Schluß zu machen, über die Bodenschätze (Öl) ihrer Länder selbst zu bestimmen, damit diese wieder unter Kontrolle des westlichen Imperialismus gebracht werden. Für ihn ist das Greater Middle East Projekt
„notwendig und realistisch“ (um) „das gesellschaftliche Gefüge aus dem Klammergriff des Despotismus (zu) befreien.“
So identifiziert sich Öcalan mit der Ideologie des Imperialismus, der die Regierungschefs der Länder, deren Souveränität er abschaffen will, zu Despoten deklariert . Seine Blauäugigkeit geht soweit, daß er meint , der Imperialismus hätte ein Problem mit der
„ extreme(n) Verarmung der Bevölkerung der Region „ (und es ginge dabei um) „ökonomische Entwicklung, individuelle Freiheiten, Demokratisierung und Sicherheit „
„Das Greater Middle East Project, (…), beruht auf jüngsten Analysen des Imperialismus seit 1990 und ist der Versuch, aktuelle Probleme zu lösen. Es geht davon aus, dass die von Frankreich und England nach dem I. Weltkrieg errichtete Ordnung Fehler enthält und den heutigen Anforderungen nicht länger genügt. Es findet sich sogar eine selbstkritische Haltung. So wird es mittlerweile als Fehler angesehen, nach dem II. Weltkrieg im Namen von Sicherheit und Stabilität den Despotismus gefördert zu haben. Die extreme Verarmung der Bevölkerung der Region wird als schädlich und gefährlich für das System eingestuft. Daher sollen ökonomische Entwicklung, individuelle Freiheiten, Demokratisierung und Sicherheit gleichzeitig vorangebracht werden. Mit diesem Modell will man die chronisch gewordenen Probleme und Konflikte (Israel-Palästina, Kurden-Araber, Türkei, Iran) lösen, gleichzeitig das gesellschaftliche Gefüge aus dem Klammergriff des Despotismus befreien und so neue Explosionen verhindern. Es handelt sich um eine Art an die Region angepassten neuen Marshallplan, wie er seinerzeit für Europa umgesetzt wurde. Wenn die Region für das System sehr wichtig ist – und das ist der Fall – und gleichzeitig so etwas wie eine Phase des Chaos durchmacht, dann ist ein Projekt mit diesen Zielen notwendig und realistisch. Es kommt sogar reichlich spät“, Abdullah Öcalan: Jenseits von Staat, Macht und Gewalt, hier zit. nach der deutschen 2.Auflage, Köln 2015, S.273
Für diese Illusionen werden die Kurden teuer bezahlen.
Der Gesellschaftsvertrag von Rojava aus dem Jahr 2014 http://civaka-azad.org/7-ausgabe-der-civaka-azad-infoblaetter/ gibt Zeugnis darüber ab, wie weit sich die Kurden schon von ihren revolutionären Zielen entfernt haben.
Der Demokratische Konföderalismus , wie er im Gesellschaftsvertrag von Rojava niedergelegt ist, unterscheidet sich grundlegend von der revolutionären Rätedemokratie. Die Arbeiter-und Sodatenräte, mit denen das Rojava- Projekt gerne verwechselt werden möchte, waren eine Organisationsform der revolutionären Arbeiter, die die Produktionsmittel übernommen hatten.
Privateigentum und Klassen
Im Gesellschaftsvertrag von Rojava ist das Privateigentum an Produktionsmitteln jedoch geschützt.
Artikel41: Das Recht auf Eigentum und Privateigentum wird geschützt.Niemand darf der Gebrauch des eigenen Eigentums verweigert werden. Niemand darf enteignet werden.
Solange die Ökonomie nach den Grundsätzen des Privateigentums organisiert bleibt, sind die rätedemokratischen Strukturen nur ein politischer Rahmen, während die wirkliche Macht denjenigen gehört, die den Reichtum der Gesellschaft besitzen.
Solange die Eigentumsverhältnisse nicht angetastet werden, ist der Kapitalismus nicht in Frage gestellt. Eine Rätedemokratie, die alleine in der politische Späre verbleibt, kann sich sehr gut mit dem Kapitalismus vertragen , denn die Abtrennung der politischen Sphäre von der Ökonomie, die nach Maßgabe des Privateigentums organisiert ist, ist das Grundprinzip des kapitalistischen Staates. In der rein formalen politischen Sphäre, als Staatsbürger, werden die Menschen als Gleiche behandelt:
Artikel6: In den demokratisch-autonomen Verwaltungen ist jedes Individuum und jede Organisation vor dem Recht gleich.
Die Realität der Gesellschaft ist eine andere, nämlich eine Klassengesellschaft, in der die herrschende Klasse Privateigentümer des Reichtums der Gesellschaft ist, welche die Klasse der Eigentumslosen, die nichts haben außer ihrer Arbeitskraft, ausbeutet. Die Behandlung von Kapitalisten und Arbeiter als gleiche Rechtssubjekte ist die Form , in der im Kapitalismus der Klassengegensatz organisiert und zugleich verschleiert wird. Mit der Behandlung als Privateigetümer – jeder hat die gleichen Rechte- wird von den Klassen, der realen Ungleichheit abstrahiert. Denn auch die Eigentumslosen gelten als Privateigentümer , als Besitzer der Ware Arbeitskraft. Es wird nicht danach gefragt , wieviel Privateigentum einer hat, wie er es erworben hat. Das Wort Ausbeutung kommt nicht vor .Von Klassen hört man nichts in diesem Gesellschaftsvertrag. Es wird so getan, als ob diese nicht existieren würden.Weit davon entfernt Lohnarbeit in Frage zu stellen, wird diese vielmehr geschützt.
Konkurrenz und Lohnarbeit werden geschützt
Artikel 42: Das wirtschaftliche System in den demokratisch-autonomen Verwaltungen basiert auf gesellschaftlicher Entwicklung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit der Produktion sowie den wissenschaftlich-technologischen Möglichkeiten. Der Zweck der Entwicklung der Produktion und der ökonomischen Entwicklung beruht auf den menschlichen Bedürfnissen und dem Ziel, ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Die demokratisch-autonomen Verwaltungen dulden eine legitime wirtschaftliche Konkurrenz und den Grundsatz, dass alle gemäß ihrer Arbeit entlohnt werden. Wirtschaftliches Horten in einer Hand (Monopolbildung) ist verboten. Nationale Produktionsmittel werden geschaffen.
„Daß alle gemäß ihrer Arbeit entlohnt“ werden ist das Prinzip der kapitalistischen Lohnarbeit. „Nationale Produktionsmittel“ werden geschaffen. Die hat es hier auch in Deutschland in Form der Bahn und Post gegeben. Solange der Umfang der Verstaatlichung offen bleibt , handelt es sich nicht um eine Infragestellung des Kapitalismus. „Wirtschaftliches Horten in einer Hand (Monopolbildung) ist verboten.“ Auch ist in unserer Verfassung ist Monopolbildung verboten.
Kein anarchistisches sondern sozialdemokratisches Programm
Alles in Allem handelt es sich hier um ein sozialdemokratisches Programm, das den Kapitalismus nicht grundlegend in Frage stellt und die Bezeichnung anarchistisch nicht verdient.
Bodenschätze
Artikel 39: Alle Bodenschätze und natürlichen Ressourcen gehören der gesamten Gesellschaft. Ihre Nutzung, Verarbeitung und Gebrauch wird durch Gesetze geregelt.
Artikel 40: In den demokratisch-autonomen Verwaltungen gehört jeglicher Grundbesitz und Boden der Bevölkerung. Nutzung und Aufteilung werden durch Gesetze geregelt.
Da die Gesetze das Privateigentum in den Mittelpunkt stellen , werden Privateigentümer Nutznießer der Bödenschätze. Das steht im diametralen Gegensatz zu der Aussage, daß Bodenschätze der gesamten Gesellschaft gehören. Bisher ist der Griff der Imperialisten nach den Bodenschätzen nocht nicht offensichtlich. Schließlich braucht man noch die Illusionen der Kurden, die für ihr revolutionäres Projekt ihr Leben geben. Die militärischen Angriffe durch die Türkei und durch die Islamisten, die beide mit der USA kooperieren, gegenüber denen sich die USA als Schutzmacht für die Kurden aufspielt, geben den Erpressungsrahmen ab für die Verteilung der Bodenschätze im Sinne der Imperialisten.
Gewaltenteilung
Artikel 13: Durch diesen Vertrag wird die gesellschaftliche Gewalt in die gesetzgebende, rechtsprechende und exekutive Gewaltgeteilt (Prinzip der Gewaltenteilung).
Artikel 63: Die unabhängige Justiz ist der Grundstein der Gerechtigkeit. Sie repräsentiert das Gewissen und die Moral der Bevölkerung.
Die Abtrennung von Moral und Gewissen von der Bevölkerung ist Ausdruck davon, daß die Gesellschaft selbst ohne Moral und Gewissen funktioniert und die Moral in eine gesonderte Institution ausgelagert wird, wie es beim kapitalistischen Staat der Fall ist.
Was gut und was schlecht ist, entscheiden die Menschen nicht selbst. Diese Kompetenz ist in die Justiz ausgelagert, die nach dem Recht des Privateigentums entscheidet.
Vörläufer dieser Abtrennung sind die patriarchalen Religionen, insbesondere die abrahamitischen Religionen, in denen eine „heilige Schrift“ ,die Propheten, oder die Kirche den Menschen vorschreibt , was gut und was böse ist und dabei allesamt den Krieg als heilige Aufgabe definieren. (Besonders deutlich im alten Testament). Im säkularen kapitalistischen Staat sagt das Rechstsystem , was richtig und falsch ist.
Der Gesellschaftsvertrag von Rojava ist voll von den illusionären Idealen des kapitalistischen Staates.
Der einzige Unterschied besteht darin, daß es nicht ein zentralistischer Staat sein soll, sondern ein kommunaler Föderalismus.
In diesem Gesellschaftsvertrag sind die antikapitalistischen, revolutionären Ideen, die wir in Öcalans Schrift „Jenseits von Staat Macht und Gewalt“ finden, schon weitgehend revidiert, ein Prozeß der noch anhalten wird , da die Kurden in immer größere Abhängigkeit von ihrem vermeintlichen Beschützer die USA geraten werden, solange sie sich nicht grundlegend von diesem lossagen.
Artikel 12: Die demokratisch-autonome Verwaltung ist Teil eines nicht zentralistisch organisierten zukünftigen Syriens und dessen Vorbild. Ein föderales System ist das passendste Modell für Syrien, und das Verhältnis zwischen den autonomen Verwaltungen und der Zentralregierung
Dies ist ein expansionistisches Konzept , das mit revolutionärer Befreiung der syrischen Gesellschaft nichts zu tun hat. Es ist eine Anmaßung der Kurden ihr auf das US Militär gestützten Gesellschaftmodell , das auf den Illusionen des kapitallistischen Staates basiert, als Modell für ganz Syrien hinzustellen. Sie machen sich damit zum Handlanger des US-Imperialismus, der ebenfalls Rojava als Modell für ganz Syrien sieht:
David Sutterfield (U.S. Sectretary of state ) sagte am 15.Jan 2018 :
„Wir werden Syrien nicht verlassen. Wir bleiben aus verschiedenen Gründen:
Stabilisierung und Unterstützung im Norden und Nord-Osten.
Schutz unserer Verbündeten, der SDF, die so vorbildlich gegen ISIS gekämpft haben,
versuchen helfen, die politischen Strukturen in diesem Bereich zu einem Modell für den Rest von Syrien zu transformieren“
https://www.rt.com/news/415894-turkey-us-syria-border-force-threat/
Die Rosa Luxemburg Stiftung geht noch weiter und fragt:https://newstral.com/de/article/de/1024332264/rojava-ein-alternatives-modell-für-
Der kommunale Föderalismus, der die kapitalistische Eigentumsordnung nicht tangiert, ist die passende Struktur für den westlichen Imperialismus, der bestehende Staaten und Nationen zerstört und nicht mehr auf das Konzept des Nationalstaates setzt , weil er sich als Weltstaat etablieren will.
Die Frauenemanzipation in Rojava wird in einem gesonderten Artikel behandelt werden.